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Haftung__Wenn der Dackel auf die Straße rennt

Foto: greghristov/Pixabay

Tiere können immer wieder mal Situationen heraufbeschwören, in denen jemand oder etwas zu Schaden kommt. Wer genau dafür geradesteht und was etwa die Tierhaftpflichtversicherung abdeckt, wird oft zum Streitfall vor Gericht.

Die in Paragraf 833 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelte Tierhalterhaftung ist in aller Regel Gefährdungshaftung. Normalerweise gibt es eine Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz oder Schmerzensgeld nur, wenn der Schädiger schuldhaft, das heißt mindestens fahrlässig gehandelt hat.

Die Gefährdungshaftung besteht hingegen für Schäden, die sich aus einer erlaubten Gefahr ergeben, wie beispielsweise aus der Haltung eines Tieres. Hier kommt es also nicht auf schuldhaftes oder rechtswidriges Handeln an: Die Haftung besteht deshalb, weil man durch eine erlaubte Handlung ein erhöhtes Risiko für andere Personen auslöst. Der verbreitetste Fall der Gefährdungshaftung außerhalb der Tierhalterhaftung ist die des Kraftfahrzeughalters

Halter haftet

Der Halter eines Tieres haftet demnach grundsätzlich für Schäden, die sein Tier anrichtet, auch wenn er selbst nicht schuldhaft-fahrlässig gehandelt hat, also beispielsweise das Tier mangelhaft beaufsichtigt hat. Hierfür wird üblicherweise tiertypisches Verhalten vorausgesetzt. Was das im Einzelfall sein kann, wird oft zum Streitfall.

Nach Paragraf 833 Satz 2 BGB gibt es allerdings eine Ausnahme von der Gefährdungshaftung: Wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wurde, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters dienen soll und wenn der Tierhalter die bei der Beaufsichtigung des Tieres erforderliche Sorgfalt beachtet hat oder wenn der Schaden auch bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt entstanden wäre, fällt die Gefährdungshaftung weg, und es gilt wieder die Verschuldenshaftung. Allerdings muss hier der Tierhalter beweisen, dass er schuldlos gehandelt hat beziehungsweise dass er den Schaden nicht hätte vermeiden können.

Private Haftpflichtversicherung zahlt meist nur bei kleinen Tieren

Immer noch ist der Gedanke weit verbreitet: „Ich habe doch eine Haftpflichtversicherung“. Die sogenannte „Privathaftpflichtversicherung“ hilft jedoch nicht weiter, da sie in aller Regel allenfalls Schäden erfasst, die durch Kleintiere, vielleicht noch durch eine Katze, verursacht wurden. Vor allem für Hunde, Pferde und gefährliche Reptilien wird jedoch fast ausnahmslos eine Tierhalterhaftpflichtversicherung benötigt. Nicht haftpflichtversicherte Hunde sind leider keine Ausnahme.

Auf eine Tierhalterhaftpflichtversicherung zu verzichten, kann den Tierhalter schnell wirtschaftlich ruinieren. Er haftet etwa auch, wenn der harmlose kleine Hund auf die Straße rennt und einen Massen-Auffahrunfall verursacht. Hat der Tierhalter eine Haftpflichtversicherung, ist in aller Regel auch der Tieraufseher mitversichert.

Beim Versicherer nachfragen

Ungeachtet dessen sollte der Tieraufseher sich bei seiner eigenen Privathaftpflichtversicherung dahingehend absichern, ob die Tieraufseher-Haftung nach Paragraf 834 BGB mit abgedeckt ist. So lange man beispielsweise nur ab und zu den Hund des Nachbarn ausführt, besteht bei den meisten Versicherern Versicherungsschutz im Rahmen der Privathaftpflichtversicherung. Der Tierhalter hat sich übrigens im Schadensfall immer an seine Versicherung zu halten; er riskiert seinen Versicherungsschutz, wenn er selbst gegenüber dem angeblich Geschädigten irgendwelche Angaben macht.

In einigen Bundesländern ist grundsätzlich eine Haftpflichtversicherung für alle Hunde abzuschließen (Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen- Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen); in anderen Bundesländern ist dies gesetzlich teilweise nur für bestimmte Hunderassen oder für Hunde ab einer bestimmten Größe vorgeschrieben. Als derzeit einziges Bundesland fordert Mecklenburg- Vorpommern für keinerlei Hunde eine Haftpflichtversicherung.

Betrieb versichern

Wer beruflich mit Tieren umgeht – auch und besonders der Tiere führende Einzelhändler – der muss in seiner Betriebshaftpflichtversicherung unbedingt das Risiko der Tierhalterhaftung für die konkret in seinem Geschäft angebotenen Tiere und auch für etwaige dort anwesende private Tiere mit abdecken.

Typische Fälle

Es ist unmöglich, alle denkbaren Einzelfälle der Tierhalterhaftung hier aufzuzählen. Einige typische Haftungsfälle – vor allem bezogen auf Hunde – sollen im Folgenden vorgestellt werden:

„Der wollte doch nur spielen“: Der Hund ist nicht aggressiv. Er springt den Geschädigten spielerisch an, bestenfalls verschmutzt er dessen Kleidung, schlimmstenfalls kommt es zu Verletzungen. Das ist der typische Fall der Tierhalterhaftung: Der Hundehalter ist einigermaßen aufmerksam, der Hund ist nicht aggressiv, aber er verursacht einen Schaden, der seine Ursache im typischen Tierverhalten hat. Das ist der klassische Fall der Gefährdungshaftung, für die der Tierhalter einzustehen hat.

„Der hat Sie doch gar nicht berührt, Sie sind halt so schreckhaft!“: Ein heranstürmender Hund, der den Geschädigten so erschrickt, dass dieser ausweichen oder weglaufen will und dadurch zu Fall kommt, verhält sich tiertypisch. In einem solchen Fall ist die Tierhalterhaftung zu bejahen. Das Ausweichen vor einem herumlaufenden Hund reicht aus.

Wenn Hunde streiten

„Die waren aber beide nicht angeleint!“: Wenn zwei Hunde in Streit geraten, sind die jeweiligen Tiergefahren gegeneinander abzuwägen. Die Tiergefahr eines großen Hundes wird hier meist stärker ins Gewicht fallen als die eines kleinen; die Tiergefahr eines nicht angeleint und unkontrolliert herumlaufenden Hundes wird die des angeleinten Tieres meist überwiegen. Wer übrigens in eine Hundebeißerei eingreift, obwohl der eigene Hund nicht beteiligt ist, riskiert, dass sein Handeln als „Handeln auf eigene Gefahr“ eingestuft wird mit der Folge, dass er überhaupt keinen Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld hat.

Anders sieht es aus, wenn man seinen eigenen Hund beschützen will; dann haftet der Halter des anderen Hundes, man muss sich aber, wenn man zwischen die Hunde gerät und verletzt wird, die Tiergefahr des eigenen Hundes zurechnen lassen.

Alle Halter haften mit

„Das waren doch die anderen …“: Auch wenn nur ein Tier aus einer Gruppe den konkreten Schaden verursacht, haften die Halter der anderen Tiere mit, selbst wenn sie den Schaden nur mittelbar verursacht haben. Eine Gruppe von Pferden war unkontrolliert durchgegangen. Nachdem zunächst der Halter eines der Pferde erfolgreich in Anspruch genommen worden war, ging dessen Versicherung erfolgreich gegen die anderen Tierhalter vor.

Auch das Oberlandesgericht München sah eine gesamtschuldnerische Haftung aller Tierhalter: Ein Passant war von einem ausgebrochenen Schaf verletzt worden; im Pferch befanden sich Schafe mehrerer Tierhalter, und es war unklar, wessen Schaf die Verletzung hervorgerufen hatte. Das Gericht bejahte die Haftung aller Tierhalter, die ihre Schafe in dem Pferch untergebracht hatten.

Wer anfasst, hat auch Schuld

„Sie hätten ihn ja nicht anfassen müssen!“: Das ungefragte und unangekündigte Anfassen fremder Hunde wird in der Regel dazu führen, dass dem Geschädigten ein Mitverschulden vorgeworfen wird. Anders kann es aussehen, wenn man einen offenkundig herrenlosen Hund anfasst, um den Halter zu ermitteln, indem man am Halsband nach einer Adresskapsel oder einem Schild mit der Telefonnummer sucht. Ein solches Handeln ist im Interesse des Hundehalters; er wird ohne Einschränkung haften müssen.

Ein Deckschaden entsteht, wenn ein Rüde eine läufige Hündin ungewollt deckt. Hier können erhebliche Kosten entstehen, bis hin zu den Aufzuchtkosten der ungewollten, meist nicht rassereinen Welpen und dem Schadensersatz, den der Halter einer Rassehündin verlangen kann, wenn er sie aufgrund des ungewollten Deckaktes nicht decken lassen und die Welpen dann gewinnbringend verkaufen kann.

Wenn der Nachbarsrüde wartet

Wenn allerdings der Halter einer Hündin diese unbeaufsichtigt im Garten lässt, obwohl er weiß, dass der Rüde auf dem Nachbargrundstück wartet, kann die Haftung des Rüdenhalters für den Deckschaden auch gänzlich ausgeschlossen werden, oder es wird, je nach den Umständen des Einzelfalles, nur ein geringer Teil der Aufzuchtkosten für die entstandenen Mischlingshunde zu zahlen sein.

Auch wenn ein Tier vom Tierarzt, Tiertrainer, Hufschmied oder einer sonstwie beruflich tätigen Person betreut wird und diese dabei verletzt, hat der Verletzte in der Regel einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Nur wenn der Verletzte ganz außergewöhnliche Risiken übernimmt, die weit über diejenigen Risiken hinausgehen, die normalerweise vom Tier ausgehen, kann die Haftung des Tierhalters ausnahmsweise ganz entfallen.

Ärzte haben Anspruch

Die Haftung des Tierhalters besteht auch gegenüber dem behandelnden Tierarzt, wenn dieser während der Behandlung von dem Tier verletzt wird. Die Tierhalterhaftung ist nicht wegen der Verwirklichung eines „berufstypischen Risikos“ des Tierarztes ausgeschlossen. Der Tierarzt habe sich der Tiergefahr aussetzen müssen, um seiner vertraglichen Pflicht zur medizinischen Versorgung des Tieres nachzukommen. Das führe nicht dazu, dass er seinen Anspruch verliere. Ein etwaiges Mitverschulden des Tierarztes sei im Einzelfall zu prüfen.

Abschließend bleibt zu sagen, dass jeder Fall der Tierhalterhaftung ein Einzelfall ist und nur eingeschränkt auf andere Fälle übertragen werden kann. Sollte es zu einem Vorfall kommen, bei dem ein Tier für die Verletzung eines Menschen oder die Beschädigung einer Sache verantwortlich sein könnte, empfiehlt sich für den Geschädigten immer die Einholung fachlichen Rats. Der in Anspruch genommene Tierhalter muss seinerseits seine Versicherung umgehend und wahrheitsgemäß informieren und hat dieser die Entscheidung über die Zahlung und etwaige Prozessführung zu überlassen. Ausreichende Vorsicht und vorausschauendes Handeln wird aber meist helfen, Vorfälle wie die hier geschilderten zu vermeiden.

Dietrich Rössel, Rechtsanwalt