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Qualzuchten__„Das kann lebensbedrohlich sein“

Goldfische werden schon lange in Deutschland gezüchtet, leider manchmal auch mit negativen Auswüchsen. Diesen drei Exemplaren geht es aber offenkundig gut. Foto: Dr. Stefan Hetz

Von Tierärzten und Tierrechtsorganisationen wird immer wieder gegen sogenannte Qualzuchten gewettert. Der Biologe Dr. Stefan Hetz ist wissenschaftlicher Fachreferent beim Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe und spricht im Interview über ein Thema, das in Zukunft vielleicht noch mehr zum Zankapfel werden könnte.

zza: Was genau ist eigentlich eine Qualzucht?

Dr. Stefan Hetz: Eine genaue Definition des Begriffes gibt es nach meinem Wissen nicht. Im EU-Übereinkommen für Heimtiere von 1987 heißt es in Artikel 5: Wer ein Heimtier zur Zucht auswählt, ist gehalten, die anatomischen, physiologischen und ethologischen Merkmale zu berücksichtigen, die Gesundheit und Wohlbefinden der Nachkommenschaft oder des weiblichen Elternteils gefährden könnten.

In Deutschland haben wir den Paragrafen 11 b im Tierschutzgesetz, wo beispielsweise steht, dass es verboten ist, so zu züchten, dass Körperteile oder Organe fehlen oder nicht gut funktionieren, so dass Schmerzen, Schäden oder Leiden auftreten.

Mit welchen Problemen haben Qualzuchten zu kämpfen?

Schmerzen, Schäden und Leiden sind drei zentrale Begriffe des Tierschutzgesetzes. Die können auf verschiedene Weise auftreten. Es kann beispielsweise ein Problem mit der Atmung vorliegen, etwa wenn ein Hund stark röchelt. Der kann gegebenenfalls im Sommer nicht ausreichend seine Köpertemperatur regulieren, weil er nicht mehr gut hecheln kann, weil seine Schnauze verkürzt ist. Der Halter muss das Tier in solchen Fällen in einen kühlen Raum bringen und am besten gar nicht mit raus nehmen. Es gibt Fluglinien, die zu gewissen Zeiten solche Hunde nicht transportieren, weil sie verhindern wollen, dass etwa beim Umladen im August die Tiere in der Hitze zu Schaden kommen. Das kann je nach Ausbildung der Merkmale lebensbedrohlich sein.

Es gibt neurologische Schäden bei bestimmten Farbzuchten von Reptilien oder Goldfische, die aufgrund von Flossenumbildungen nicht richtig schwimmen können. Oder übertypisierte Schlappohrkaninchen, die sich auf die Ohren treten und mit Entzündungen zu kämpfen haben, und Zwergkaninchen, deren Zähne sich nicht abschleifen können, weil die Kiefer nicht mehr richtig zusammenpassen. Ich erinnere mich auch daran, dass es früher Mäuse gab, die immer nur im Kreis gelaufen sind, weil der Gleichgewichtssinn beschädigt war

Gezüchtet wird seit Jahrtausenden. Wann fingen die Dinge an, schief zu laufen?


Angefangen hat es vermutlich, als man begann, Zuchten extrem auf bestimmte Merkmale hin zu optimieren. Vor 150 Jahren gab es schon kugelförmige Goldfische mit umgebildeten Schwanzflossen und hervortretenden Augen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Übertypisierung. Das bedeutet, dass ein schädliches Merkmal extrem ausgebildet ist. Nicht jedes Kaninchen mit einem geknickten Ohr ist gleich eine Qualzucht.

Die Frage ist, wo man die Grenze festlegt. Tiere zu züchten, ist ja erstmal nichts Schlechtes. Es kann aber eben sein, dass ein erwünschtes Merkmal mit einem Zuchtmerkmal einhergeht, zum Beispiel Schwerhörigkeit oder Neigung zur Krankheit und frühem Tod. Da sollte man nie das Risiko eingehen, dass diese Merkmale sich mit der Zuchtauslese verschlimmern und extrem übertypisiert werden. Eine Grenze zwischen einem Merkmal und einem extrem übertypisierten Merkmal zu ziehen, ist aber sehr schwierig.

Seit wann gibt es den Begriff „Qualzucht“ in der Diskussion?

Ich würde sagen, der Begriff wurde zum ersten Mal in den Achtzigern verwendet. Aber viele vermeiden diesen Begriff, sondern sprechen lieber von unerwünschten Nebeneffekten bei der Zucht.

Gibt es unter Tierhaltern ein Bewusstsein für das Thema?

Das Bewusstsein wächst, das bekommt man in den Medien mit. Ich habe für einen Aquaristik-Bericht mal in sozialen Netzwerken zum Thema recherchiert. Im angloamerikanischen Sprachbereich finden sich Zuchtformen, für die es in Deutschland einen Shitstorm geben würde. In Amerika gibt es wenig, in asiatischen Foren überhaupt keine Kritik.

Eine Heimtierstudie aus dem vergangenen Jahr zeigt aber, dass in Deutschland für 65 Prozent der Menschen das Thema Qualzuchten wichtig ist. Daher kann man für Deutschland schon sagen, dass es im Bewusstsein ist.

Welche Qualzuchten werden besonders stark nachgefragt?

Stark nachgefragt werden im Heimtierbereich meines Wissens eigentlich keine Tiere, aber wir schauen bei den Leuten natürlich nicht ins Aquarium oder in den Vogelkäfig. Bei Katzen weiß man es auch nicht. Lediglich bei Hunden können wir uns eine Meinung bilden, weil wir sehen, wie die Menschen mit ihnen spazieren gehen.

Hier in Berlin hat man beispielsweise den Eindruck, dass weniger extrem kurzschnäuzige Möpse zu sehen sind, französische Bulldoggen aber nach wie vor sehr häufig.

Gibt es Trends zu beobachten?

Man sieht auf Berlins Straßen beispielsweise den Retro-Mops, der höhere Beine hat und eine längere Schnauze. Den muss man aber erstmal kennen, um zu wissen, dass das überhaupt ein Mops ist. Wenn man sich etwa Modehunde anguckt, kommt das Thema auch mit dem Internet und den Medien auf. Wenn Paris Hilton einen kleinen Hund in der Tasche herumträgt, dann möchten das viele haben.

Der Vater eines Jugendfreundes war Taubenzüchter, mit dem sind wir früher auf Ausstellungen gegangen. Da gab es in den Siebzigern schon Tauben, die Federn, fast schon zweite Flügel an den Füßen hatten. Das kannte damals nicht jeder, davon konnte man höchstens vielleicht mal in einer speziellen Verbandszeitschrift ein Foto sehen. Heute wird sowas über das Internet geteilt und hat dadurch eine sehr viel größere Reichweite. Je mehr das angucken, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass darunter jemand ist, der das auch will.

Wie lässt sich im Sinne des Tierwohls auf die Nachfrage einwirken?

Aufklärung. Es wäre total gut, wenn diese Aufklärung auch mit Promis passieren würde und viral ginge.

Wie kann sich der Zoofachhandel – auch wenn er solche Tiere selbst nicht verkauft – bei dem Thema helfend positionieren?

Man kann nur versuchen, mit Kunden im Gespräch zu bleiben. Nicht herablassend oder belehrend, sondern vielleicht mal fragen, wie das Tier, falls der Kunde eines besitzt, so zurechtkommt. Und bei Nachfragen nach solchen Formen sollte man eben sagen: Nein, diese Tiere verkaufen wir aus den und den Gründen nicht. Der tierführende Zoofachhandel muss in dieser Sache positiv vorangehen.

Und die Politik? Inwieweit reguliert der Gesetzgeber das Thema?

Das Thema steht im neuen Bundestag ziemlich weit vorne. Paragraf 11 b im Tierschutzgesetz wird zukünftig vielleicht stärker durchgesetzt.

 

Qualzucht-Netzwerk und Heidelberger Beschlüsse

Der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) hat schon vor Jahren in seinen Heidelberger Beschlüssen eine Abgrenzung zu sogenannten Qualzuchten vollzogen. Die Mitglieder des Verbandes haben sich verpflichtet, solche Tiere nicht zu verkaufen. Seit Herbst des vergangenen Jahres unterstützt der ZZF zudem das „Qualzucht Evidence Network“ (Quen), eine wissenschaftliche Datenbank, die von der Tierärztekammer Berlin ins Leben gerufen worden ist. Dieses Netzwerk soll Veterinärämter und andere Organisationen bei Recherchen unterstützen. Quen bietet eine klare Aufteilung zuchtbedingter Veränderungen nach bekannten, sichtbaren oder nur durch weiterführende Untersuchungen erkennbaren Defekten. Außerdem sind Literaturhinweise und Gerichtsurteile zu finden sowie Gutachten und Auslegungen des Paragrafen 11 b des Tierschutzgesetzes aus juristischer, ethischer und genetischer Sicht. Neben relevanten Fotos lassen sich auch hilfreiche Ansprechpartner recherchieren. Hier geht es zu Quen.

dh