Hundewolle__Weiche Revolution

Foto: Modus Intarsia

Ann Cathrin Schönrock hatte eine Idee: Warum nicht Abfall zum Rohstoff machen? Der Abfall hier: Unterfell, das Hunde in jedem Frühjahr verlieren. Mit ihrer Partnerin Franziska Uhl macht Schönrock daraus Wolle. Die sei weich wie Kaschmir, sagt sie.

Ein Pulli aus Hundefell? Da mag so mancher die Nase rümpfen. Schließlich haftet Hunden oft ein ganz eigener Geruch an. Und wer will schon selbst wie ein nasser Hund riechen? Diese Sorge, sagt Ann Cathrin Schönrock, sei aber völlig unbegründet. Denn die Wolle aus Hundehaaren rieche überhaupt nicht. „Chiengora“ heißt dieses Garn, zusammengesetzt aus dem französischen Wort „chien“ für Hund und Angora, einer Textilfaser aus Kaninchenhaar.

Es seien ja die Schuppen und Absonderungen des Tieres, die zu dem manchmal aufdringlichen Geruch führen. Und das alles würde im Veredelungsprozess ausgewaschen, sagt die Berliner Jungunternehmerin. Genau wie bei Wolle aus Schafs- oder Ziegenfell übrigens. Bei einem Wollpulli aus herkömmlichen Material denke ja auch niemand an einen Ziegenstall.

„Systemfehler beheben“

Schönrock und Uhl denken groß. Es sei ein revolutionärer Ansatz, so Schönrock, mit dem sie einen „Systemfehler in der Wollindustrie beheben“ wollen. Diesen Systemfehler beschreibt sie so: In Australien und Neuseeland werden Millionen Schafe gezüchtet, deren Wolle über den halben Erdball nach Europa transportiert werden, um hier in der Textilindustrie verarbeitet zu werden. Ökologisch sinnvoll sei das nicht.

Gleichzeitig lebten allein in Deutschland Millionen Hunde, von denen die allermeisten im Frühjahr ihr Winterfell verlieren. Viele Halter kämmen ihre Tiere aus und werfen das Haar weg. In den Hundesalons fallen in dieser Zeit täglich bergeweise Haare ab. Und genau darauf haben es die beiden Frauen abgesehen.

Idee ist nicht neu

Gemeinsam hoben sie das Start-up „Modus intarsia“ aus der Taufe. Ihr Ziel: im industriellen Maßstab aus Hundehaaren Wolle produzieren. Hundewolle sei nicht neu, sagt Schönrock. Allerdings habe die Nutzung wohl noch niemand so groß gedacht und versucht, wie die beiden Unternehmerinnen. Das Potenzial ist gewaltig. Mit Hundehaaren allein aus Europa könnten jährlich 1.000 Tonnen hochwertige Wolle produziert werden, schätzt Ann Cathrin Schönrock.

Schönrock hat Modedesign studiert und die Idee mit der Hundewolle kam ihr auch schon in jenen Tagen. Um dieses Vorhaben in die Tat umsetzen zu können, musste ein neuer Produk - tionsprozess für Hundewolle geplant werden. Zum Glück lernte Schönrock irgendwann ihre heutige Geschäftspartnerin Franziska Uhl kennen, eine Textilingenieurin.

Für die Verarbeitung zur Wolle eignen sich vor allem die Haare jener Hunde, die ein dickes Unterfell für den Winter bekommen. Das seien zum Beispiel bestimmte Hütehunde, sagt Schönrock. Ein Rauhaardackel komme da eher nicht in Frage. Bei der Produktion der Hundewolle werden dann die dickeren Deckhaare als Ausschuss abgesondert, ein Produktionsschritt, bei dem rund die Hälfte des Ausgangsmaterials verloren geht. Die verbleibende Unterwolle wird gereinigt, Schuppen und Speichel werden ausgewaschen. Am Ende entstehe dann eine geruchsfreie Faser, die auch für allergiegeplagte Menschen gut verträglich sei, sagt Schönrock.

Im Netzwerk Haare sammeln

Der Plan der beiden Unternehmerinnen ist es, über ein breit gespanntes Netzwerk möglichst viel Hundehaar einzusammeln. Wichtig sei es, so Schönrock, dass nicht jeder Hundehalter eine Handvoll einsendet. Dass würde das Logistik-Aufkommen dramatisch erhöhen und so der Idee einer nachhaltigen Wollproduktion entgegenlaufen. Vielmehr möchte „Modus intarsia“ etwa Hundesalons dazu animieren, an der Idee mitzuwirken und das Material gesammelt zur Verfügung zu stellen. Die Versandkosten übernimmt das Berliner Start-up.

Als Gegenleistung dürfen sich teilnehmende Groomer als „Rohstoffretter“ bezeichnen und bekommen von dem Berliner Unternehmen dafür eine Art Zertifikat, mit dem etwa an der Eingangstür zum Salon geworben werden kann. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich etwas Geld auszahlen zu lassen oder aber diesen Betrag für ausgewählte Tierschutzprojekte zur Verfügung zu stellen. Interessierte können sich auf der Internetseite des Unternehmens über die Möglichkeiten der Teilnahme informieren.

Modebranche ist interessiert

In Wirtschaft und Politik stoßen die beiden Gründerinnen mit ihren Plänen auf offene Ohren. Die Idee wird staatlich gefördert und eine Crowdfunding- Kampagne hat weiteres Geld in die Kassen gespült. Auch ein Unternehmen aus der Textilindustrie hat bereits in das Start-up investiert. Das Netzwerk der Fell-Lieferanten wächst. Und aus der Modebranche gibt es bereits gesteigertes Interesse. Mittlerweile können Schönrock und Uhl schon von ihrer Arbeit an „Modus intarsia“ leben.

Entscheidend wird es aber wohl sein, den Endverbraucher zu überzeugen. „Ist das Kaschmir?“, fragten viele, die zum ersten Mal eine Mütze oder einen Pullover aus Hundewolle in der Hand hielten. Sobald sie dann hörten, dass das Material vom Hund stammt, werde sofort daran geschnüffelt, sagt Ann Cathrin Schönrock. Weil es da aber nichts zu riechen gibt, sollte dem warmen Pullover aus Hundewolle nichts mehr im Wege stehen. Vielleicht kann der geneigte Halter seinem Rauhaardackel daraus ja auch etwas für den nächsten strengen Winter stricken. So würde sich der Kreis vom Hund zum Hund schließen.

dh