Perspektiven:__„Hund, Katze und Maus sind längst im Internet“

Professor Tobias Kollmann ist Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. Er gilt in Deutschland als einer der wichtigsten Köpfe im Bereich Digitalisierung. Foto: privat

Professor Tobias Kollmann ist einer der gefragtesten Ökonomen Deutschlands. Er forscht seit Jahren in den Bereichen E-Business und E-Entrepreneurship. Im exklusiven zza-Interview äußert er sich zu den Aussichten der Heimtierbranche vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung.

zza: Digitalisierung ist der gesellschaftliche Mega-Trend. Was bringt uns diese Entwicklung im Kern?

Tobias Kollmann: Hoffentlich einen wirtschaftlichen Wohlstand für alle Beteiligten mit der klaren Erkenntnis, dass man sich vor dem digitalen Wandel nicht verstecken kann, aber eben auch nicht muss.

zza: An anderer Stelle sagten Sie, dass Digitalisierung auch unsere Verhaltensweisen verändere. Was dürfen wir uns hinsichtlich der Heimtierbranche darunter vorstellen?

Kollmann: Das Tier selbst wird natürlich weiterhin real bleiben, aber viele Produkte, Prozesse und Plattformen werden auch für die Heimtierbranche zunehmend digitalisiert. Diese 3Ps der digitalen Wirtschaft können entsprechend heute schon beobachtet werden. Vom digitalen Fressnapf über die automatisierte Bestellung der Tiernahrung über E-Shops bis hin zu den Petfluencern auf Social Media-Plattformen – Hund, Katze und Maus sind längst im Internet angekommen.

„Den Kunden abholen“

zza: Die Digitalisierung stellt den Kunden stärker in den Mittelpunkt der Wertschöpfungsprozesse. Was bedeutet das für Hersteller und Händler?

Kollmann: Dass man den Kunden da abholen muss, wo er seine Einkaufsentscheidung trifft und das ist nun einmal zunehmend über das Internet und hier auch insbesondere im mobilen Bereich. So bekommt man beispielsweise beim Gassi gehen ein neues Produkt für den Vierbeiner empfohlen und das möchte man dann natürlich auch direkt über das Handy bestellen.

zza: Nie konnten Unternehmen mehr über ihre Umwelt lernen, nie mehr Informationen und Daten gewinnen. Wie können Firmen mit Daten Geld verdienen?

Kollmann: Meine Botschaft für die digitale Wirtschaft ist da ziemlich einfach: Wer als erster ein Kundenbedürfnis oder -problem digital erkennt, der kann auch als erster ein digitales oder reales Angebot machen. Das funktioniert heute aber eben nur über Daten und diese werden damit zu einem eigenständigen Wettbewerbsvorteil. Diesen kann man direkt in einen Umsatz ummünzen.

Auch Kontakt im Laden kann Daten bringen

zza: Gibt es auch für kleinere und mittlere Unternehmen Chancen, Daten zu nutzen? Wie?

Kollmann: Auch die KMUs können aus ihrem direkten Kundenkontakt im Laden eine ganze Menge an Daten generieren und diese sinnvoll auswerten. Notwendig ist aber auch die Erkenntnis, dass der reale Ladentisch als Einstieg für eine weitere digitale Geschäftsbeziehung genutzt werden muss. Verlässt der Kunde den Laden, ohne dass ich ihn von einem weitergehenden digitalen Kontakt überzeugt habe, wird er datentechnisch wieder unsichtbar.

zza: Die Marktmacht der Internet-Riesen wächst. Wohin kann uns dieser Trend noch führen?

Kollmann: Die großen zentralen Plattformen wachsen und wachsen und werden auch nicht aufhören mit dem, was sie tun. Sie werden versuchen, in immer weitere Handels- und Lebensbereiche vorzudringen und den Konsumenten über die wachsende Datenmenge mit einer immer besser werdenden elektronischen Wertschöpfung immer weiter abzuholen, so dass dieser immer mehr Umsatz dorthin verschieben wird.

Digitaler und realer Mehrwert

zza: Haben kleine und mittlere Unternehmen überhaupt eine Chance gegen die wachsende Marktmacht der Internet-Giganten?

Kollmann: Natürlich haben es die großen Plattformen im Netz einfacher, da sie schon eine enorme Menge an Daten von den Netzteilnehmern haben. Die große Frage wird sein, wo und wie werden in welchen Branchen noch spezielle Kenntnisse und eine Reputation aus Sicht des Nachfragers geschätzt, die über einen reinen Bestellvorgang hinausgehen. Hier muss man dann einen digitalen mit einem realen Mehrwert verbinden und auch die zugehörigen Produkte, Prozesse und Plattformen mit eigenen Angeboten bespielen.

zza: Die Heimtierbranche ist relativ kleinteilig organisiert. Wie kann der Weg in die digitale Zukunft für den einzelnen Zoofachhändler oder Heimtierpfleger aussehen? Womit sollten die Einzelkämpfer anfangen?

Kollmann: Im digitalen Wettbewerb zählen nur die 3Rs mit Relevanz, Reichweite und Reaktionsfähigkeit. Nur wenn ich das Problem des Kunden real oder digital lösen kann, wird man relevant bleiben. Nur wenn man für diese Problemlösung im Netz bekannt und nachgefragt ist sowie die Daten seiner Kunden sinnvoll für weiteren Umsatz auswerten kann, wird man bestehen oder bestenfalls sogar expandieren. Nur wenn ich inhaltlich und technisch in der Lage bin, schnell und flexibel auf die Kunden im Netz zu reagieren, wird man sich im digitalen Wettbewerb behaupten können. Am Anfang steht die Erkenntnis über diese Zusammenhänge und die Frage, ob man diese mit dem heutigen realen, aber eben auch digitalen Setup bedienen beziehungsweise bewältigen kann.

Vom Einzelkämpfer zum Verbundspieler

zza: Sie haben während eines Vortrags vor Vertretern der Heimtierbranche ein altes Modell der Vergesellschaftung wieder ins Spiel gebracht: die Genossenschaft. Wie können kleine und mittlere Unternehmen von solch einer Gemeinschaft profitieren?

Kollmann: Im Hinblick auf die 3Rs sollte man sich kritisch fragen, ob man sich vom Einzelkämpfer nicht zum Verbundspieler entwickeln sollte. Hat man selbst wirklich die Stärke, um insbesondere den Faktor Reichweite im Netz zu bedienen? Und ist wirklich der Kollege mit seinem realen Shop in der nächsten Großstadt der Konkurrent im digitalen Wettbewerb oder sind das nicht eher Amazon & Co.? Vor diesem Hintergrund sehe ich in spezialisierten Branchen die Chance für eine Wiedergeburt des alten Genossenschaftsgedankens, der nun aber zu gemeinsamen digitalen Produkten, Prozessen und insbesondere Plattformen in einer gemeinsamen Trägerschaft führen muss. Ich glaube, dass eine fachliche Gemeinschaft auch im Netz zu einer digitalen Stärke führen kann und alle über kollektive digitale Geschäftsmodelle profitieren würden.

zza: Wie kann ein kleines Unternehmen beim Thema Digitalisierung Expertise aufbauen, ohne dabei die eigenen Ressourcen überzustrapazieren?

Kollmann: Hier wird es nur über das Wissen rund um digitale Geschäftsprozesse und –modelle gehen können. Selbst wenn ich alles an eine Agentur auslagern würde, so entbindet mich das nicht von einer digitalen Grundkompetenz, die mich in die Lage versetzt, die zugehörigen Ergebnisse und Entwicklungen beurteilen zu können. Noch besser wäre es, wenn auch in dieser Branche die Digitalkompetenz als Kernkompetenz interpretiert werden würde, für die man im Zweifel auch bereit sein muss, entsprechende Weiterbildungen in Anspruch zu nehmen.

zza: Ein Blick in Ihre Glaskugel: Wie sieht die Heimtierbranche beim Thema Digitalisierung in zehn Jahren aus?

Kollmann: Ich hoffe, dass es dann immer noch eine eigenständige Heimtierbranche mit einem zugehörigen starken Handel auch im Internet gibt und ich dann auch endlich meinen eigenen realen Hund und nicht nur einen Robo-Dog haben werde.

dh