Expedition in Kolumbien__Aquarienfische an ihrem Ursprung erleben

Tief in den Regenwald Kolumbiens ging es bei der JBL-Forschungsexpedition im November 2022. Die naturbegeisterten Teilnehmer ließen sich auf das Abenteuer ein, unter zumeist einfachsten Bedingungen die Heimatgebiete von Zierfischen und Terrarientieren zu erkunden. Ein Erfahrungsbericht von ZZF/WZF-Geschäftsführer Gordon Bonnet, der privat mitreiste.

Bogotá, 17. November 2022, 3:30 Uhr: Die spanischsprachige Musik, die aus einer Bar der auf 2.640 Höhenmeter thronenden kolumbianischen Hauptstadt auf die Straßen hallt, verstummt. Nun komme auch ich wie wohl die meisten der acht Millionen Stadtbewohner zur Ruhe. Doch in weniger als zwei Stunden wird bereits der Wecker bimmeln zur Weiterreise in einer Propellermaschine gen Osten in das Dorf Puerto Inirida, von wo aus alle Straßen im Dschungel enden. Von dort werde ich dann mit den elf Mitreisenden meines Teams per Boot weiterfahren auf dem Rio Inirida zu den Indios und den traumhaften Biotopen der Mavicure Berge, des Rio Atabapo und des Caño Bocon.

Irgendwo im Dschungel, 18. November 2022, 1:30 Uhr: Eine Fledermaus flattert durch das palmengedeckte Holzhaus, knapp über meinem Moskitonetz, und lässt mich aufschrecken. Der prasselnde Regen bei unserer Ankunft im Camp am Fuß der kegelförmigen Mavicure Berge ist gewichen. Mit der Taschenlampe stolpere ich zum Plumpsklo. An der Wassertonne mit dem Schöpfeimer, der die Spülung ersetzt, sitzt eine Spinne von respektabler Größe – vermutlich Heteropoda venatoria – während über den Boden Kakerlaken huschen. Es ist die Zeit der nachtaktiven Tiere, bis zum Sonnenaufgang sind es noch dreieinhalb Stunden. Bis dahin brauche ich noch etwas Schlaf, denn am nächsten Morgen werde ich zum ersten Mal in einem trüben Bachlauf schnorcheln – auf der Suche nach Fischen, die ich bislang nur aus dem Aquarium kenne.

In einem Dorf am Rio Atabapo, 21. November 2022, 4:40 Uhr: Der Tag erwacht – Zeit aufzustehen! Mich hält nichts mehr in unserem Zelt, zumal die leicht gestörten Hähne bereits seit zwei Stunden den anbrechenden Tag ankündigen. Es sind so unglaublich viele Eindrücke, die wir binnen weniger Tage gewonnen haben. Erfahrungen, die wir wohl niemals vergessen werden. Meine Augen sollen geleuchtet haben, als ich das erste Mal Schwärme roter Neons, Flaggenbuntbarsche und Beilbauchsalmler beim Schnorcheln zwischen dem Totholz und den Wurzeln entdeckte. Aufgrund der Regenzeit hatten die Fische auch Zugang zu Früchten und Samen versunkener Pflanzen und ließen sich bei der Nahrungsaufnahme beobachten. Neben den jeweils ausgiebigen Wasserbestimmungen (unter anderem pH-Wert, Gesamthärte, Karbonathärte, Temperatur, Sauerstoff, Eisen, Magnesium) haben wir an jedem Gewässer ermittelt, welche Fische wir unter welchen Wasserbedingungen vorgefunden haben.

Die aquaristischen Kenntnisse in unserer Gruppe waren unterschiedlich, aber für niemanden war es absolutes Neuland. Schließlich waren in unserem Team Inhaber von Aquariumgeschäften, Biologen, Angestellte im Zoofachhandel (Kölle, Tier Total, Dehner, Obi) und ein Tierarzt. Für alle war das Schönste an der Expedition, bekannte Aquarienfische an ihrem ursprünglichen Lebensort beobachten zu können. Der Rio Atabapo, der zusammen mit dem Rio Inirida auf den Orinoco trifft und sich mit diesem zweitgrößten Fluss Südamerikas vereinigt, bietet mit seinem kristallklaren Schwarzwasser eine erstaunliche Artenvielfalt. Inmitten des noch sehr unerforschten Regenwaldes, eingebettet in üppige Flora und Fauna bekamen wir auch über Wasser einiges zu Gesicht, wie beispielsweise Aras, Amazonen, Tukane, Kolibris, Rabengeier, Leguane, Schildkröten, Totenkopfäffchen, Brüllaffen, Wollaffen und nicht zu vergessen: rosafarbene Amazonas-Flussdelfine.

Dschungeldorf Santa Rosa am Caño Bocon, 23. November 2022, 22:30 Uhr: Wasser tropft auf unser Zelt, welches ich mit Matthias Wiesensee (JBL und my-fish) teile. Plötzlich hört das Geräusch auf und dann ist es wieder da. Merkwürdig, unser Zelt steht unter einem Holzdach. Wir sind beide wach und stellen fest: Es regnet gar nicht. Vielmehr krabbelt eine Kakerlake über das Außenzelt und die winzigen Füße verursachen das regenähnliche Geräusch. Die eingeschaltete Taschenlampe offenbart, dass zusätzlich eine Spinne auf dem Zelt sitzt. Im Lichtkegel wirkt sie noch größer als sie ohnehin schon ist. Auch das noch! Der Abend hatte es ohnehin in sich und hätte das Herz aller Freunde von Reptilien, Amphibien, Insekten und Spinnentiere höher schlagen lassen.

Mit zwei Guides waren wir durch die pechschwarze Nacht mit Stirnlampen zu einem Tümpel hinter dem Indio- Dorf gewandert, um das Leben unter und über Wasser zu erforschen. Schon der Weg war von unzähligen kleinen und großen Kröten gesäumt und im Wasser entdeckten wir unter anderem sehr aktive Salmler, Saugwelse und sogar Altum Skalare. Dann fiel der Blick auf eine etwa 1,5 Meter lange geringelte Schlange im Wasser, vermutlich giftig, wenn auch keine Korallenotter. Nur ein paar Meter entfernt saß ein rotbrauner Skorpion mit großem Stachel und kleinen Scheren auf einem Baumstamm, ein paar Zentimeter darunter eine große Jägerspinne. Faszinierend und etwas angsteinflößend zugleich. Mit all diesen Bildern im Kopf versuchte ich nun wieder einzuschlafen.

Caño Cristales, 28. November 2022, 6:00 Uhr: Die zivilisatorischen Entbehrungen des Dschungels liegen hinter uns, obwohl ich Strom, Telefonnetz, WLAN und Hoteldusche nicht wirklich vermisst habe. Außerdem waren die Menschen der indigenen Bevölkerung äußerst freundlich und hilfsbereit, obwohl wir uns oft nur mit Händen und Füßen verständigen konnten. Hier nun in dem abgeschiedenen Nationalpark Serranìa de la Macarena im Süden Kolumbiens bietet sich uns ein besonderes Naturspektakel: Die rote Wasserpflanze Rhyncolacis clavigera steht in ihrer vollen Blüte und lässt den weltberühmten Caño Cristales in den Farben des Regenbogens strahlen. Laut Wikipedia ist der einzigartige Klarwasserfluss fischfrei – aber weit gefehlt! Zwar muss man schon etwas mehr suchen, findet dann aber Salmler, Welse, Zwergbuntbarsche und Schildkröten. Heute geht es auf zu einer weiteren schweißtreibenden Wanderung entlang der Wasserfälle von atemberaubender Schönheit. Zum Glück haben wir noch ein paar Tage zum Erleben, Lernen und Genießen!

Gordon Bonnet