Gärten__Sehnsucht nach der Wildnis

Foto: Michael Wieck/Pixabay

Längst haben die Deutschen ihren Garten als Habitat wilder Tiere entdeckt. Vor dem Hintergrund der Diskussion um Artenvielfalt und Ökologie will so mancher einen kleinen Beitrag leisten und den eigenen Garten als Lebensraum anbieten. Egal ob zu Lande, zu Wasser oder in der Luft: Interessenten gibt es viele.

Der Garten als Lebensraum des Menschen hat in den vergangenen Jahrzehnten einen deutlichen Wertewandel durchlaufen. War es nach dem zweiten Weltkrieg zunächst vor allem ein Ort der Lebensmittelgewinnung, brachte in der folgenden Zeit der deutsche Gartenfreund sein kleines Fleckchen Erde zur kulturellen Blüte. Wachsen und leben durften Pflanzen und Tiere dort aber nur nach Plan.

Weil sich aber die Welt jenseits der Buchsbaumhecke verändert hat und die Natur als theoretischer Gegenpol aller Kultur mittlerweile in arge Bedrängnis geraten ist, hat ein Umdenken stattgefunden: Gärtner holen sich die Wildnis zurück auf ihre Parzelle, geben die kalkulierte Flora mehr und mehr den Unwägbarkeiten chaotischen Wachstums preis und gestalten das eigene Eden eben nicht mehr nur gemäß ästhetischer Vorlieben, sondern auch, um anderen Lebewesen eine Zuflucht zu bieten.

Unberechenbar, aufregend, wild

Nicht zuletzt dürfte das wohl auch ein Ausdruck einer allgemeinen Sättigung sein. Tausende Jahre haben Menschen die Natur umgeformt. In einer Zeit, in der vom individuellen Lebensweg bis zur industriellen Herstellungskette alles optimiert, rationalisiert und standardisiert ist, bricht sich hier vielleicht auch die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit Bahn. Wenn schon alles im Leben nach Plan verläuft, dann könnte doch wenigstens der eigene Garten etwas Aufregendes, Unberechenbares, Wildes bieten.

Jetzt sind Koi-Karpfen oder Goldfische nicht gerade berühmt für ihr wildes Wesen. Dennoch ist auch die Erfolgsgeschichte der Gartenteiche ein beredtes Beispiel für diesen Trend. Wer in den sozialen Medien nach Fotos von Gartenteichen sucht, wird feststellen, dass diese Gewässer sich erstaunlich entwickelt haben und zu einem Lebensraum für viele Tierarten jenseits vom Koi geworden sind. Ob Moderlieschen, Bitterling oder Goldorfe, es gibt viele Fischarten, die sich in einem passenden Gartenteich gut machen. Zwar sind nicht alle Arten winterfest und müssen im Herbst aus dem Teich in ein Winterquartier gebracht werden. Dennoch muss es eben nicht immer der Goldfisch sein.

Kampf und Tod am Teich

Zudem bleibt es nicht beim Fischbesatz, denn mit dem Teich kommen vielleicht auch Amphibien und Insekten in den Garten. Zwar lässt sich wohl niemand gerne an einem lauen Sommerabend von einer Mücke stechen, aber schließlich hat auch niemand behauptet, dass die Natur bequem ist. Der deutsche Filmemacher Werner Herzog hat einmal gesagt, dass er die Natur liebe, obwohl sie voller Kampf und Tod sei. Auch am Teich gibt Räuber und Beute - ein Paradies für Hobby-Tierforscher.

Abseits des Gartenteiches ist das Abenteuer längst nicht vorbei. Mischwiesen und bunte Beete locken Käfer, Fliegen und Schmetterlinge an. In so manchem Garten werden Insektenhotels installiert in der Hoffnung auf ein lautes Gesumme und Gebrumme im nächsten Sommer. Natürlich weiß jeder Gärtner, dass auch am Ende der Kleingarten-Nahrungskette einige interessante Arten warten. Deshalb sind Vögel ebenfalls gern gesehene Gäste, die den Teich auch zum Trinken und Baden verwenden. Und die werden eben auch von den Insekten angelockt. Vogelhäuser sollen den Räubern Unterschlupf bieten. Im besten Fall lässt sich der manchmal brutale Kreislauf des Lebens sonntagmorgens bei einer heißen Tasse Kaffee aus dem Wohnzimmer beobachten, wenn etwa eine Amsel einen Wurm aus dem Erdreich zupft, um ihn am Stück zu verschlingen, oder eine Spinne langsam auf ihr Opfer zuschreitet, das sich im tauglänzenden Netz verheddert hat und in Kürze ausgesaugt werden wird. Werner Herzog trinkt sicher gern Kaffee.

Die wirklich ambitionierten Gartentierforscher denken auch an Reptilien wie Eidechsen oder Blindschleichen, an Bienen und Hornissen, Eichhörnchen, Fledermäuse oder Igel, wenn sie ihre eigene Wildnis gestalten. Immer kann man etwas tun, um diese wilden Tiere in das eigene Reich zu locken. Ob sie sich dann auch wirklich blicken lassen, ist ungewiss. Denn am Ende bleibt es Natur. Und die Natur ist viel zu komplex, um sich bis ins letzte Detail planen zu lassen.

dh