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Stimmt es oder nicht? Populäre Irrtümer rund um Ziervögel

In vielen Bereichen des Lebens halten sich manche vermeintliche Fakten hartnäckig, obwohl längst bekannt ist, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Solche populären Irrtümer gibt es auch rund um Ziervögel. Es ist an der Zeit, damit aufzuräumen.

von Gaby Schulemann-Maier

Vögel begeistern viele Menschen, weil sie so anders sind als die Vierbeiner unter den beliebten Haustieren. Ihr Körperbau unterscheidet sich in einigen Punkten maßgeblich von dem der Säugetiere. Beispielsweise bedecken Federn einen großen Teil ihres Körpers und da, wo die Säuger ein Maul haben, tragen Vögel mit ihrem Schnabel ein beeindruckendes „Multifunktions-Werkzeug“ immer bei sich. Diese Andersartigkeit macht einen Großteil der Faszination aus, doch sie hat in der Vergangenheit auch Tür und Tor für so manche „Wahrheit“ geöffnet, die eigentlich gar keine ist.

Irrtum 1: Kratzt sich ein Vogel, hat er Milben

Wird ein Heimvogel beim ausgiebigen Kratzen beobachtet, gerät so mancher Halter in Sorge, weil man ja weiß, dass das immer ein Zeichen für einen Milbenbefall ist ... Von wegen! Das Kratzen mit dem Fuß und auch das Reiben des Kopfes an Ästen oder anderen Gegenständen gehört für Ziervögel zur Gefiederpflege und ist deshalb regelmäßig zu beobachten. Es ist ein wenig mit dem Kämmen der Haare bei uns Menschen vergleichbar: Durch das Kratzen am Kopf richten die Vögel ihre Federn, die sie in diesem Bereich des Körpers nicht mit dem eigenen Schnabel erreichen können. Also nehmen sie ihren Fuß zur Hilfe.

Vor allem wenn Vögel mausern, kann es vorkommen, dass sie sich häufiger als sonst kratzen und auch öfter mit dem Schnabel am Gefieder nesteln. Niemand weiß es genau, weil man die Tiere nicht fragen kann, aber es ist davon auszugehen, dass der natürliche Gefiederwechsel gelegentlich mit einem störenden Gefühl einhergeht, vielleicht sogar mit einem Juckreiz.
Manche Ziervögel haben aber tatsächlich das Pech, von Milben geplagt zu werden – das ist allerdings keineswegs der Normalfall. Die winzigen Parasiten sind keine Insekten, wie oft angenommen wird. Milben gehören zu den Spinnentieren und sind je nach Art mit dem bloßen Auge kaum oder gar nicht zu erkennen. Fallen einem Halter krustige Beläge am Schnabel oder an den Beinen auf oder wirkt das Gefieder löchrig, könnte tatsächlich ein Milbenbefall vorliegen. Sicherheitshalber sollte dieser von einem Tierarzt abgeklärt werden, mit Hausmitteln kommt man meist nicht weiter.

Irrtum 2: Vögel sind ihrem Partner immer treu

Als viele der heute populären Vogelarten in freier Natur entdeckt und von Forschern beschrieben wurden, galt die lebenslange treue Einehe als das Maß aller Dinge. Diese Moralvorstellung wurde auf die Tiere projiziert. Man ging davon aus, dass zahlreiche Vogelarten ebenfalls monogam leben. Die Gefiederten haben mit unseren menschlichen und zumeist religiös oder sozial geprägten Ansichten jedoch nicht viel zu schaffen, sie folgen ihren Instinkten. Das bedeutet: Bietet sich ihnen eine Gelegenheit, sich mit einem Artgenossen mit guter Fitness und somit guten Genen zu paaren, dann nutzen sie häufig die Chance – und das oft sogar obwohl sie einen festen Partner haben.

Wer mehr als ein Pärchen einer Vogelart hält, hat dies vielleicht schon beobachtet. Das gilt übrigens nicht nur für Ziervögel. So sind zum Beispiel unsere heimischen Blau- und Kohlmeisen, laut wissenschaftlicher Untersuchungen, Seitensprüngen gegenüber häufig offen.

 

Irrtum 3: Männchen nagen weniger als Weibchen

Papageien und Sittiche sind nicht nur sehr beliebte Vogelarten, sondern auch oft sehr nagefreudige Tiere. Dabei gehen viele Halter nach wie vor davon aus, dass vor allem die Weibchen einen ausgeprägten Nagetrieb haben, weil sie es sind, die in der Natur die Nisthöhlen in morschen Bäumen mit dem Schnabel erweitern. Letzteres ist zwar richtig, doch sie erhalten dabei durchaus häufig Unterstützung von ihren Partnern. Männliche Krummschnäbel wissen demnach ihren Schnabel ebenfalls zum Zerlegen von Holz einzusetzen. In der Heimvogelhaltung hängt es vielmehr vom individuellen Charakter eines Vogels ab, ob er besonders nagefreudig ist oder nicht – ganz unabhängig vom Geschlecht.

Irrtum 4: Paarweise oder im Schwarm gehaltene Vögel werden nicht zahm

Es macht sehr großen Spaß, mit zutraulichen Ziervögeln seine Zeit zu verbringen und mit ihnen zu spielen. Wenn sie von sich aus gern auf die Hand oder die Schulter kommen, bereitet das ihren Haltern meist sehr große Freude. Umso mehr wünschen sich viele Menschen, dass ihre gefiederten Schützlinge sich ihnen eng anschließen. Sie befürchten, dass die Tiere scheu bleiben und sich nur auf ihresgleichen konzentrieren, wenn man sie paarweise oder zu mehreren hält – also so, wie es bei Arten wie zum Beispiel Wellen- oder Nymphensittichen eigentlich sein sollte.

Beschäftigt sich der Halter intensiv mit seinen Tieren und geht er einfühlsam mit ihnen um, kann es mit der nötigen Portion Geduld und Leckerbissen, wie einem Stück Kolbenhirse, gelingen, paarweise oder im Schwarm gehaltene Ziervögel zu zähmen. Es erfordert jedoch oft etwas mehr Mühe als das Zähmen eines Einzelvogels. Doch man wird für diesen Einsatz reich belohnt, wenn gleich mehrere quirlige Vögel angeflogen kommen und „ihren“ Menschen in das bunte Treiben mit einbeziehen.