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Tiermediziner überlastet?__Ächzende Ärzte

Die Corona-Pandemie hat die Nachfrage nach Heimtieren angetrieben; viele Menschen haben in den vergangenen Monaten ein Tier aufgenommen. Für die Tierärzte in Deutschland bedeutet das mehr Patienten, mehr Arbeit und auch mehr Frust. So mancher Mediziner kann keine neuen Patienten mehr aufnehmen.
Zwischen 12.000 und 14.000 Tierärztinnen und Tierärzte arbeiten Schätzungen zufolge in Deutschland. Gemeinsam mit dem helfenden Fachpersonal haben sie schon seit Jahren alle Hände voll zu tun. Die Zahl der Heimtiere in Deutschland ist permanent gestiegen, angeführt von Katzen und Hunden. In der Corona-Pandemie und während des Lockdowns hat dieser Trend nochmal deutlich an Fahrt aufgenommen.
Dr. Petra Sindern bestätigt das auf Nachfrage des zza. Die 62-Jährige führt seit Jahren eine Kleintierpraxis in Neu Wulmstorf bei Hamburg, engagiert sich außerdem als Vize-Präsidentin im Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt). Auch in ihrer Praxis kamen in den vergangenen anderthalb Jahren mehr neue Patienten an, als üblich. Hunde, Katzen, Kaninchen oder Meerschweinchen, angeschafft wurden „alle Tiere, die man streicheln kann“, sagt Sindern.
Häufig Notfälle
Auch wenn der Aufwand stark angewachsen ist, würden Notfälle immer behandelt und nicht abgewiesen. Und Notfälle seien keine Seltenheit bei den Tieren, die kürzlich einen neuen Halter bekommen haben. Die gestiegene Nachfrage nach Heimtieren habe den illegalen Handel befeuert, so die Tierärztin. Aus dunklen Kanälen, häufig aus Süd-Ost-Europa, kämen viele Tiere in bedauernswertem Zustand nach Deutschland, selten geimpft und oft schwerkrank und schlecht sozialisiert. Das führe dazu, dass nicht nur die Anzahl an neuen Patienten steige, sondern die neuen zumeist auch aufwändige Behandlungen benötigten, sagt die Tierärztin.
Zudem würden Tierhalter, die ihre Lieblinge über Internet oder andere dubiose Wege bekommen, oft nicht ausreichend über die Bedürfnisse der Tiere informiert. Ihnen fehlt dann die Sachkunde, die für einen verantwortungsvollen Umgang mit einem Lebewesen zwingend notwendig ist.
Zu wenig Personal?
Mehr Tiere mit gravierenden gesundheitlichen Problemen verschärfen demnach die Arbeitslast derer, die sich um Hund, Katze und andere kümmern. Und das vor dem Hintergrund, dass es nach Ansicht des bpt bereits seit Jahren zu wenige Mediziner und zu wenig Fachpersonal im Veterinärbereich gibt. Dr. Sindern sagt, dass der Verband die Politik wiederholt auf dieses Problem hingewiesen habe. Bislang ohne Erfolg.
Die einfache Rechnung: Wenn mehr Tiere in Deutschland leben, brauchen sie auch mehr medizinische Versorgung. Wer selbstständig eine eigene Praxis führt, kann vielleicht versuchen, das durch Mehrarbeit auszugleichen. Sindern sagt, dass sie selbst nun noch mehr arbeite und auch Kolleginnen und Kollegen davon berichten. Anders sehe es jedoch bei jenen Medizinern aus, die beispielsweise in Kliniken arbeiten. Hier setzt das Arbeitszeitgesetz enge Grenzen.
Nicht alle Absolventen praktizieren
Ein anderes Problem sieht die 62-Jährige in den Zulassungsbeschränkungen zum Studium. Der Numerus clausus liege noch immer so hoch, dass lange nicht jeder, der Tiermedizin studieren möchte, auch einen Platz bekommt. Auf sieben Bewerber komme ein Studienplatz, so Sindern. Das System führe dazu, dass zwar die besten Schüler das Studium aufnehmen können. Das seien aber nicht zwingend die Idealisten, die unbedingt als Tierärztin oder Tierarzt arbeiten möchten. Von den Universitätsabsolventen praktizierten mehr als ein Viertel anschließend nicht.
In Zeiten wachsender Heimtier-Bestände verschärft sich das Problem der Versorgung dementsprechend deutlich. Zwar gebe es keine Zahlen zu einer Versorgungslücke. Aber Indikatoren schon: Petra Sindern beobachtet am Stellenmarkt seit einiger Zeit, dass es praktisch keine Gesuche mehr gebe, Stellenangebote dafür umso mehr.
Auch habe sich die Erwartungshaltung der Tierhalter verändert, so Sindern. Durch populäre Sendungen im Fernsehen sei bei vielen ein gewisses Bild entstanden. Wer Hund, Katze oder andere Kleintiere in eine Praxis bringt, gehe häufig von einer umfassenden Behandlung aus, obwohl diese aus medizinischer Sicht nicht angezeigt ist. Unterm Strich führe die gesamte Situation in den Praxen dazu, dass in vielen Fällen neue Patienten für Routine- Untersuchungen nicht mehr angenommen werden.