Aquaristik__Da schau an!

Sie sind gewissermaßen die Fenster zum Hobby: Wie Schaubecken in der Aquaristik das Wohnzimmer in den Laden und den Laden in das Wohnzimmer bringen.
Eine Schiebetür aus Glas öffnet sich automatisch. Vögel zwitschern, Meerschweinchen quieken, einem braunen Labrador wird eine Leine aus pflanzlich gegerbtem Leder anprobiert. Zielstrebig führt der Weg an all dem vorbei. Ganz hinten im Laden wartet das Highlight eines weiteren Samstags: die Aquaristikabteilung.
Mehrere Schaubecken demonstrieren das Hobby in seiner lebendigen Pracht. Das Schöne an der Aquaristik ist ja, dass man etwas wachsen lässt. Fischnachwuchs, Pflanzen, die eigene Persönlichkeit und manchmal auch Algen. Aber wo anfangen, wenn man grade ein neues Becken einrichten möchte? Die Süßwasseraquaristik bietet eine Vielzahl von Spielarten – vom Biotopbecken bis zum High-End-Aquascape – jede mit eigenem Fokus. Wofür entscheiden, bei all den Möglichkeiten?
Nahbar und machbar
„Schaubecken zeigen was möglich ist,“ sagt Kevin Höhlein. Er arbeitet in einem Erfurter Fressnapf und kümmert sich dort um die Aquaristikabteilung. Nebenberuflich bespricht der selbsternannte Erklärbär und Pflanzen-Nerd auf Youtube alles rund um die Aquaristik. „Aquaddicted“ heißt der Kanal, den er gemeinsam mit seinem Kollegen André Peukert betreibt. Sein ideales Schaubecken? „Großes Becken, gutes LED-Licht, Kohlendioxid-Versorgung – aber bodenständig,“ ergänzt er. Es soll schließlich nahbar und machbar sein.
Einige Folgen zeigen die Aquarieneinrichtung bei Peukert zu Hause. Ein anderes Mal zeigen Kunden ihre Projekte in den eigenen vier Wänden. Höhlein will die Zielgruppe nicht aus dem Auge verlieren und mit seiner Beratung den Kunden bei ihren zukünftigen Erfolgserlebnissen helfen. Das Schaustück als Beleg der Machbarkeit. Höhlein fügt hinzu: „Alles, was gut funktioniert, verkauft sich besser.“
- „Schaubecken zeigen, was möglich ist”, sagt Kevin Höhlein. Foto: André Peukert
Auf den Effekt getrimmt
Die Ausstellungsaquarien sind dennoch auf den Effekt getrimmt und ziehen dank Internet-Bekanntheit Menschen weit über den üblichen Besucherradius hinaus an. Das Becken und sein Erschaffer sind Grund genug für einen Besuch, bei dem immer auch eine Flusswurzel, ein schöner Stein oder eine seltene Pflanze im Einkaufskorb landen.
Eine ähnliche Geschichte erzählt auch Stefan Graf. Gemeinsam mit seinen Mitinhabern Philipp Schwarz und Christoph Maisch betreibt er im 13. Wiener Bezirk das auf Pflanzenaquarien spezialisierte Fachgeschäft „Liquid Nature“, das mehr Studio als Shop ist. „Ein Kunde hat seine Familie extra von einem Urlaub in Österreich überzeugt,“ berichtet er nicht ohne Stolz. Der Besuch im Laden war dann, mindestens für den Vater, das Highlight der Reise.
Sexy Hobby
Die Österreicher leben zu 100 Prozent ihre Vision von einer neuen ästhetischen Aquaristik aus. Wo früher das Tier im Fokus stand, gelte es heute, das Hobby „sexy zu machen“, so Graf. Wie Höhlein will auch er den Kunden helfen, erfolgreiche Aquarien zu gestalten. Die Schaubecken erfüllen dabei mehrere Zwecke. Sie sind nicht nur Ausstellungsstück, sondern auch Fischverkaufsanlage, Herzensprojekt, Social-Media-Content und Pilgerstätte.
Mit dabei immer wieder preisgekrönte Aquascapes, die zur klammen Gründungzeit des Geschäftes tatsächlich die privaten Wohnzimmeraquarien der Besitzer waren. Die Botschaft: Was bei mir funktioniert, kann auch bei dir funktionieren. Und Graf fügt hinzu: „Es geht nicht nur um das Geschäft, sondern auch darum, die eigene Leidenschaft jeden Tag ausleben zu können.“ „Liquid Nature“ unterhält ebenfalls einen Youtube-Kanal und dokumentiert aus dem Laden die Arbeit am neuesten Projekt.
Arbeit, die Spaß macht
Diese Geschäfte zeigen transparent, was zuvor unsichtbar war. Die Arbeit und Liebe, die in jedem neuen Becken steckt, wird öffentlich. Die Aquarien im Geschäft werden laut Kevin Höhlein regelmäßig umdekoriert; und das oft nach Ladenschluss. Es ist viel Arbeit, die aber Spaß macht.
„Begeisterung kann nur wecken, wer selbst begeistert ist,“ beschreibt Höhlein sein Credo. Bis ins kleinste Detail werden im Video die Arbeitsschritte gezeigt, damit der Erfolg reproduzierbar wird. Professionelle Beratung im Laden führt zu Erfolgserlebnissen, ist aber schlecht skalierbar. Im Video filmen sich die Experten bei der Arbeit und erreichen mit ihren Tipps auf einen Schlag zehntausende Abonnenten. Sie geben Einblicke in den Alltag eines Aquaristikgeschäfts, lassen sich beim Scapen, Pflanzen oder Füttern über die Schulter schauen.
Botschafter einer Leidenschaft
Der Zoofachhändler wird zum Botschafter einer Leidenschaft. Das Schaubecken ist dabei das sichtbare Ergebnis der Liebe zum Detail. Wer auf Youtube miterlebt, wie ein neues Vorzeigeprojekt entsteht, versteht besser, was hinter dem Hobby steckt – und wie viel Erfahrung, Wissen und Zeit darin liegen. Und das Beste daran: Den Ort aus dem Video kann man besuchen.
Die Szene trifft sich aber nicht nur im lokalen Zoofachgeschäft, in den Kommentarspalten der Videos oder im Chat zum Live-Stream. Regelmäßig laden Messen wie die Aquaexpo in Hamm tausende Hobbyisten zum gemeinsamen Austausch. Um in den vollen Gängen herauszustechen, braucht es Hingucker, berichtet Christian Halbig. Er führt zusammen mit Philip Redwitz eine Firma für Aquarienpflanzendünger. Sie stellen zum ersten Mal in größerem Umfang auf einer Messe aus.
- Ein Fenster zum Hobby: Die rot-beleuchtete Rückwand inszeniert die gut gepflegten Planzen.
Die Expertise unter Beweis stellen
Für Halbig und Redwitz erfüllt das Schaubecken auf der Messe zwei Funktionen: In kurzer Zeit Aufmerksamkeit erzeugen, um dann im Gespräch die eigene Expertise unter Beweis zu stellen. Das Vorführaquarium ist nicht nur Deko, sondern eine Einladung zum Dialog mit dem Versprechen: „Auch du kannst das nachbauen.“ Sie wollen, dass die Messebesucher schöne und erfolgreiche Aquarien zu Hause haben. Die Ausstellungsbecken kommen nach der Messe wieder nach Hause ins heimische Wohnzimmer.
Aquarien, die in den Läden entstehen, sind mehr als nur Dekoration: Sie sind Ausstellungsstücke mit emotionalem Wert, Inspiration für die eigenen Projekte. Höhlein, Graf, Halbig und viele andere aus der Branche haben natürlich etwas zu verkaufen, aber im Kern sind sie Botschafter ihres Hobbys. Es geht um Leidenschaft für die Aquaristik. Sie wollen das erfolgreiche Ergebnis und die vielen Details auf dem Weg dorthin zeigen.
Austausch ist wichtig
Aquaristik ist ein Hobby, dass vornehmlich in den eigenen vier Wänden stattfindet, aber der Austausch darüber macht Spaß und ist wichtig. Man schaut gemeinsam in Becken und fachsimpelt. Das Wohnzimmer spielt dabei eine immer wichtigere Rolle. Zum einen als Ort, an dem das Aquarium steht, aber auch als Ort, auf den sich die Experten mit ihren eigenen Erfahrungen beziehen.
Beim bekannten Aquascaper George Farmer kann man sogar exklusive Workshops buchen, die in seinem Privathaus stattfinden. Vielleicht hilft das dem ein oder anderen bei der Frage: Wie soll mein nächstes Aquarium aussehen?
Welche der vielen Spielarten der Aquaristik man am Ende verfolgt, ist zweitrangig. Es geht eben nicht um Perfektion. Im Gegenteil: Höhlein setzt bewusst auf Zugänglichkeit. „Gut genug ist als Ziel völlig okay. Es geht um den Prozess mit sich selbst und dem Aquarium.“ Graf ergänzt: „Es gibt immer noch ein Becken, das man noch nicht eingerichtet hat.“ Und dieses Becken steht wahrscheinlich in einem Wohnzimmer.
Sebastian Zander