Parteiprogramme__Was bedeutet die Europawahl für die Heimtierbranche?
Was im EU-Parlament entschieden wird, hat zum Teil weitreichende Folgen für den Alltag und das Leben in Deutschland. Dies gilt auch für die Heimtierbranche. Mit der Europawahl vom 6. bis 9. Juni 2024 endet die Amtszeit des Europäischen Parlaments und der EU-Kommission und ein neues Arbeitsprogramm wird festgelegt.
Bei der Europawahl haben rund 360 Millionen wahlberechtigte EU-Bürger aus 27 Mitgliedsstaaten die Chance, die Politik für fünf Jahre mitzuprägen. Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen sich Minderjährige ab 16 Jahren an der Wahl beteiligen dürfen. Gewählt werden 720 Abgeordnete – 15 mehr als bislang. Als bevölkerungsreichstes Land stellt Deutschland die meisten Abgeordneten, ist dennoch im Parlament gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten unterrepräsentiert.
Die frühere deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist seit 2019 Präsidentin der EU-Kommission und bewirbt sich um eine zweite Amtszeit. Die laut dem US-Magazin „Forbes“ „mächtigste Frau der Welt“ ist aktuell Chefin von rund 32.000 Mitarbeitern, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die Wahrung der Europäischen Verträge überwachen. Nach der Wahl redet das Europäische Parlament auch bei der Besetzung der EU-Kommission ein Wörtchen mit und kann beispielsweise Vorschläge der EU-Staaten ablehnen. In der Regel besetzt den Spitzenposten diejenige europäische Parteienfamilie, die bei der Europawahl die meisten Stimmen bekommen hat.
Auf Kompromisse ausgelegt
Welche Mehrheiten im Parlament organisiert werden können, hat entscheidenden Einfluss auf neue EU-Gesetze. Allerdings: Die meisten Gesetze werden zusammen mit den EU-Staaten verhandelt und müssen auch im Rat der Europäischen Union eine Mehrheit finden. Dort entscheiden Vertreter der jeweiligen nationalen Regierungen. Grundsätzlich ist die Gesetzgebung auf EU-Ebene eher auf Kompromissfindung mit teils wechselnden Mehrheiten ausgelegt. Die beschlossenen Gesetze haben es aber in sich, denn europäisches Recht hat Vorrang gegenüber dem nationalen Recht.
Im Vorfeld der Europawahl hat die „Eurogroup for Animals“ − Gründungsmitglied ist der Deutsche Tierschutzbund − einen eigenen EU-Kommissar für Tierschutz gefordert sowie die Einführung einer Positivliste für Heimtiere. Die European Pet Organization (EPO) und der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands (ZZF) halten demgegenüber eine Positivliste für Heimtiere für gänzlich ungeeignet und lehnen diese ebenso wie ein Haltungsverbot sogenannter exotischer Arten strikt ab.
Befürwortet werden demgegenüber Maßnahmen zur Verbesserung der Sachkunde von Heimtierhaltern, die Etablierung von nachvollziehbaren und rechtsverbindlichen Kriterien für die Einstufung sogenannter Qualzuchtmerkmale sowie klare Beschränkungen beim Online-Handel mit Heimtieren.
Zuwachs der Extremen?
Vor der Wahl wurde nach Wahlumfragen europaweit mit einem Zuwachs vor allem bei den rechtsextremen und ultrakonservativen Parteien gerechnet, aber auch bei den linksextremen Parteien. In Deutschland treten 35 Parteien und sonstige politische Vereinigungen an. Anders als in den meisten anderen EU-Ländern gibt es in Deutschland keine Sperrklausel. Das heißt, sobald eine Partei rund einen Prozentpunkt bekommt, kann sie mit einem Sitz im Parlament rechnen.
Der zza hat die Wahlprogramme von neun Parteien unter die Lupe genommen, die nach Wahlumfragen zwischen rund 30 und zwei Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Geschaut wurde nach Forderungen zur Haltung, zum Handel oder zum Schutz von Heimtieren. Im Folgenden finden Sie Auszüge aus den Programmen der Parteien.
CDU/CSU: Keine relevanten Aussagen zu Heimtieren.
SPD: „Tierleid ist nicht zu rechtfertigen, insbesondere nicht aus wirtschaftlichem Interesse. Acht Stunden Transport von Lebendtieren muss das Maximum sein, das in der EU erlaubt ist. Zudem brauchen wir ein Verbot von Lebendtiertransporten in Drittstaaten, wo die Einhaltung der Tierschutzgesetzgebung nicht gewährleistet werden kann. Ebenso setzen wir uns weiter für die Sicherung des Tierwohls von Wildtieren und Haustieren ein.“
Bündnis 90/Die Grünen: „Wir wollen, dass die EU alle Tiere durch konsequente und ambitionierte Gesetzgebung sowie die Durchsetzung bestehender Regelungen schützt. Wir machen uns für Tierschutz als EU-Gemeinschaftsziel, eine explizite politische Tierschutzzuständigkeit in der EU-Kommission und EU-Fördergelder für Tierschutz stark.
Tierheime wollen wir unter anderem entlasten durch die Kennzeichnung und Registrierung von Hunden und Katzen sowie eine Positivliste für den Handel und die Haltung von Exoten. In Handelsabkommen setzen wir uns für hohe Tierschutzstandards ein. Wir wollen Tierschutz zu einem Ziel der nachhaltigen Entwicklung machen.
Wir setzen uns für eine konsequente Umsetzung des EU-Aktionsplans zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels ein. Internationale Artenschutzabkommen, insbesondere Cites und alle seine Anhänge, sind konsequent in der EU umzusetzen. Den kommerziellen Wildtierhandel wollen wir effektiv unterbinden. Dabei sollen gezielte Forschungs- und Artenschutzprogramme wissenschaftlicher Einrichtungen und sachkundiger Personen zu nicht kommerziellen Zwecken hauptsächlich mit dem Ziel der Auswilderung ermöglicht und die Haltung der Tiere verbessert werden. Der Import und Handel von illegal aus dem Herkunftsland exportierten Exemplaren soll unter Strafe gestellt werden.“
FDP: „Wir wollen nicht, dass niedrige Tierschutzstandards zu einem Wettbewerbsvorteil führen. Deshalb brauchen wir europaweite Mindeststandards für den Tierschutz, die kleinere und mittlere Betriebe nicht überfordern.“
AfD: „Wir bekennen uns zur Tierhaltung in Deutschland. Die AfD steht dabei für eine konsequente Umsetzung der Tierschutzgesetze im Sinne unserer Verantwortung für Tiere als fühlende Mitgeschöpfe! Wir setzen uns für eine Transportwegbeschränkung von Lebendtieren ein, die sechs Stunden nicht überschreiten darf. Zu Zwecken der Züchtung muss der Transport von Lebendtieren zu definierten Bedingungen unter strikter veterinärmedizinischer Kontrolle durch zertifizierte Unternehmen möglich sein.“
BSW: Keine relevanten Aussagen zu Heimtieren.
Die Linke: „Die Linke steht für einen grundlegenden Wandel des Zusammenlebens von Menschen und Tieren. Wir wollen Tiere nicht als Dinge verstanden wissen und nicht als Mittel zum Profit. Tiere sind fühlende Wesen, und so müssen wir sie auch behandeln. Die Linke setzt sich auch auf der europäischen Ebene für konsequenten Tier- und Artenschutz ein. Tierschutz muss unabhängig von Profitinteressen durchgesetzt werden. Wir wollen, dass Tierschutz EU-Gemeinschaftsziel wird. Das ist wichtig, damit arme Kommunen Fördergelder bekommen können. In einer zukünftigen europäischen Verfassung sollen die Rechte von Tieren verankert werden.
Der Handel mit Tieren (insbesondere im Internet) muss streng reguliert werden. Die Haltungsstandards in Zoos, im Gewerbe und in Haushalten müssen an die Grundbedürfnisse der jeweiligen Tiere angepasst werden. Soziale Tiere sollen nur noch in Ausnahmefällen einzeln gehalten werden dürfen. Die EU muss eine Positivliste zur Haltung von Haustieren entwickeln. Die soll exotische Tiere vor der Entnahme aus der Natur schützen. Und sie soll sicherstellen, dass nur Tiere privat gehalten werden, deren Grundbedürfnisse auch erfüllt werden können und die keine Gefahr für die Bevölkerung darstellen (Krankheiten, Prädatoren).
Wir streiten für ein Importverbot von Tieren. Ausnahmen gelten nur für Tiere, die nachweislich in Zoos und Aquarien besser geschützt sind als in der Wildnis. Wild gefangene Tiere dürfen nicht in Zootierhandlungen verkauft werden. Es braucht ein wirksames Verbandsklagerecht für Umwelt- und Tierschutzverbände in den EU-Mitgliedstaaten.“
Freie Wähler: „Jeder Wolfsangriff auf Nutz- und Haustiere ist über den gemeinen Wert hinaus mit dem Zuchtwert beziehungsweise dem Marktwert durch EU-Mittel zu entschädigen. Eine Höchstgrenze darf es dabei nicht geben.“
Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei): „Im Einzelnen fordern wir auf gesellschaftlicher Ebene: Zulassung von Tieren in Seniorenheimen; gesetzliche Erlaubnis für Mieter, Haustiere in einer für die Tiere selbst und für die Mitbewohner akzeptablen Weise zu halten; generelles Zucht-, Verkaufs- und Handels-Verbot (mit materiellem Interesse) von Tieren durch Erlass eines Haus- und Heimtierzucht-Gesetzes.
Die gezielte Vermehrung sorgt für mehr Nachwuchs als Nachfrage vorhanden ist. Die Folge ist die Tötung vor allem der Tiere, die in ihren Merkmalen nicht dem Zuchtideal entsprechen (und auch Überfüllung der Tierheime). Mit dieser Beschränkung gehören auch die Qualzüchtungen der Vergangenheit an, die den Tieren das Leben zur Tortur machen.
Mit Nachdruck fordern wir, dass Schluss gemacht wird mit der Einstufung von Hunden als so genannte Kampfhunde aufgrund ihrer Rassezugehörigkeit. Wegfall der Hundesteuer (lebenslang) für Hunde aus dem Tierheim oder zertifizierten Tierschutz. Stattdessen behördliche Registrierung, verbunden mit einer gesetzlichen Haftpflichtversicherung und unverwechselbarer Kennzeichnung (Chip) für alle Hunde. Außerdem Einführung einer Hundeführerschein-Prüfung für die Halter:innen aller Hunde.
Um dem immer größer werdenden Problem der Population von Streunerkatzen Herr zu werden, die aus unkontrollierter Vermehrung von Freigänger-Katzen hervorgehen, fordern wir die Einführung einer Kastrationspflicht für Katzen.
Einführung eines Sachkundenachweises für Menschen, die Haustiere kaufen oder adoptieren wollen. Dieser soll kostenpflichtig sein, außer, wenn das Tier aus dem Tierheim oder als Fundtier adoptiert wurde. Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz spricht sich für ein generelles Verbot, übergangsweise für eine Meldepflicht für die private Haltung exotischer Tiere aus.“
Gordon Bonnet