Vögel__Spielen – mehr als nur ein Zeitvertreib

Spielverhalten und der Gebrauch von Werkzeug werden bei Vögeln generell mit kognitiven Fähigkeiten assoziiert. Zu einer artgerechten Vogelhaltung gehört deshalb auch entsprechendes Zubehör, mit denen sich die Tiere beschäftigen können. Diplom-Biologin Hildegard Niemann erläutert, warum dies den Stresslevel senkt und die Lebenszeit erhöht.
Spielverhalten bei australischen Vögeln, insbesondere bei Papageien, ist weit verbreitet und hat sich vermutlich schon vor dem Auseinanderdriften der Kontinente vor 30 bis 20 Millionen Jahren etabliert. Beispiele dafür wurden laut einer Untersuchung von Ortega und Bekoff 1997 in 13 von 40 Vogel-Ordnungen gefunden, darunter bei den Hühnervögeln, den Entenvögeln, den Pinguinen, den Eulenvögeln, den Falken und Papageienvögeln.
Bei den Papageien (Psittaciformes) einschließlich der Kakadus und Loris findet sich Spielverhalten besonders häufig. Nur bei den Sperlingsvögeln (Passeriformes) finden sich schon allein aufgrund der hohen Anzahl – mehr als die Hälfte aller Spezies gehören zu dieser Ordnung – noch mehr Arten, die Spielverhalten zeigen.
Drei Kategorien des Spiels
Als Spiel wird in der Biologie ein Verhalten bezeichnet, das nicht zweckgerichtet einem bestimmten Ziel oder Funktionskreis oder einer bestimmten Notwendigkeit zugeordnet werden kann. Spielverhalten wird in drei Kategorien aufgeteilt, die sowohl für Säugetiere als auch für Vögel gelten: Einzelspielen, Objektspielen und soziales Spielen.
Beim Einzelspielen oder auch lokomotorischem Spielen sehen wir Verhalten wie Rennen, Springen, Rollen, Schaukeln, Tanzen, Ducken und auch Rutschen. Diese Verhaltensweisen kann man sehr gut bei Raben und auch bei Keas beobachten. Objektspielen beinhaltet Aktivitäten, bei denen irgendeine Art von Objekt involviert ist, zum Beispiel Stöcke oder im Heimvogelbereich Dinge des täglichen Gebrauchs.
Objektspielen kann in soziales Spielen übergehen, wenn Dinge von einem Vogel zum nächsten gerollt oder geschwungen werden, es zu Rangeleien um den Gebrauch des Objektes kommt oder sich Tiere hinter Objekten verstecken und zum Jagen auffordern. Soziales Spielen beinhaltet die Auseinandersetzung mit anderen Sozialpartnern. Es ist ansteckend und kann andere Vögel dazu auffordern, sich an der Aktivität zu beteiligen.
Soziales Spielen wurde bei deutlich weniger Vögeln beobachtet als Objektspielen und Einzelspielen. Soziales Spielen kann auch spielerische Kämpfe beinhalten, Pflegen von Artgenossen und spielerisches Jagen und Treiben. Diese Form des Spielens wurde wissenschaftlich vor allem bei den Papageien und den Raben untersucht und nachgewiesen.
Einblicke in das kognitive Potenzial
Leider wurden bisher nur sehr wenige Arten in ihrem natürlichen Lebensraum bezüglich des Spielverhaltens wissenschaftlich untersucht, so dass die Beobachtungen häufig von Vögeln in Menschenobhut stammen. Die Studien an Vögeln in Menschenobhut geben aber einen Einblick in das kognitive Potenzial dieser Tiere und ihre Anpassungsfähigkeit an künstliche Lebensumstände.
Spielen kann einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns und des Lernverhaltens sowie auf die Lebensspanne haben. Vor allem sozial spielende Tiere haben eine deutlich höhere Lebenserwartung als nichtspielende Tiere. Weiter hatten spielende Tiere eine deutlich höhere Gehirnmasse im Vergleich zur Körpermasse als nichtspielende Tiere.
Darüber hinaus war das Verhältnis von Gehirn- zu Körpergewicht bei nichtsozialen Spielern im Vergleich zu Nicht-Spielern ebenfalls signifikant höher, was darauf hindeutet, dass nicht-soziales Spielen auch die Masse des Gehirns im Verhältnis zur Körpermasse erhöht, allerdings in geringerem Maße als beim sozialen Spielen.
Stress reduzieren
Spielen reduziert Stress, den man anhand des Stresshormons Cortisol bei Säugetieren und Corticosteron bei Vögeln messen kann. Während ein hoher Corticosteron-Spiegel das Wachstum behindert, auch das des Gehirns, Zell- und Gefiederschäden verursacht und letztlich auch die Lebensspanne verkürzt, wird die Verringerung von Stress mit einer Verlängerung der Lebensspanne und einer größeren Gehirnmasse in Verbindung gebracht.
Die Verringerung oder Beseitigung von Stress bei Jungvögeln durch Spielen könnte sich also direkt auf die Lebenserwartung, den Bruterfolg und eine Reihe anderer lebensgeschichtlicher Ereignisse auswirken.
Wellensittiche und Nymphensittiche zählen zu den beliebtesten Heimvögeln weltweit. Die Hirnmasse von wilden Wellensittichen beträgt durchschnittlich 1,5 Gramm bei einem Körpergewicht von 26 Gramm.
„Sie lieben Wühlkisten“
Wellensittiche zeigen auch im Freiland vor allem soziales Spiel, scheinen also ein Bedürfnis zu haben, sich intensiv mit Artgenossen auseinanderzusetzen und zu interagieren. Objektspielen findet man vor allem in der Heimvogelhaltung, hier dürfte es sich um eine Anpassung an die Haltung in Menschenobhut handeln.
Drei Halter berichteten: „Sie lieben ihre Wühlkisten, deren Inhalt ich öfter ändere. Mal sind es Zapfen in verschiedenen Größen, kleine Holzhanteln, Gitterbälle mit Glöckchen, bunte Weidenbälle mit und ohne Glöckchen, Birkenblätter und so weiter. Ansonsten klettern und knabbern meine Wellensittiche gern an Seegrasmatten, Seegrasspielzeug und Kork. Ebenso habe ich viel aus Holz und Spielzeuge mit Lederbändern mit bunten Elementen oder Glöckchen im Zimmer. Sie schaukeln gern auf einer Holzscheibe und schlafen dabei ein. An den Lederbändern kann man so schön rumhängen und schaukeln. Ihr lustiges, fröhliches Spielen und Necken miteinander ist immer wieder schön anzusehen.“
„Einer mag gern Fäden und Knoten. Ein anderer klettert gern an Lederbändern bis zur Decke und genießt dort die Aussicht. Die nächsten jagen sich gegenseitig hinterher und dann gibt es noch die, die stundenlang Gegenstände besprechen können.“
Spaß am Ausräumen
„Meine Wellensittiche haben besonderen Spaß daran, zum Beispiel mit Korkstückchen gefüllte Kokosnussschalen oder Ähnliches auszuräumen. Dann wird das Köpfchen schief gelegt und dem jeweils fallenden Teil lustig hinterherguckt – oder bei großen Stücken, die den Welli fast mitreißen, sich gerettet und weggeflogen. Und wenn alles ausgeräumt ist, wird sehnsüchtig darauf gewartet, dass ich es aufhebe und wieder einfülle. Und dann – von vorne. Oder auch lose auf einen etwas hoch gerichteten Ast aufgesteckte Holzperlen herunterschieben, scheint klasse zu sein.“
Kommerzielle Spielzeuge sind häufig eine gute Möglichkeit die quirligen Sittiche zu beschäftigen und ihren Alltag zu bereichern. Studien an Masthähnchen haben gezeigt, dass Enrichment, also die bei der Haltung eines Tieres verwendete, auf die Tierart abgestimmte anregende Strukturierung der Haltungsumgebung, die Menge an gezeigten Verhaltensweisen deutlich erhöht und den Stresslevel der Tiere senkt.
Kleine Vögel werden unterschätzt
Gerade kleine Vögel werden häufig bezüglich ihrer kognitiven Fähigkeiten unterschätzt, da die Größe und die Organisation des Gehirns mit der Größe des Tieres verwechselt wird. Mittlerweile ist bekannt, dass das Vogelhirn nicht nur anders organisiert ist als das Säugerhirn, sondern auch, dass die Neuronen deutlich dichter sind und deutlich besser vernetzt sind als man vermutet hat.
Wellensittiche zeigen ein beeindruckendes Repertoire an Verhaltensweisen, neigen zu Mimikry und sozialem Spiel. Für viele Sitticharten, die wir in unseren Haushalten pflegen, sind kaum Studien vorhanden und Beobachtungen sind meist anekdotisch. Wir dürfen aber sicher annehmen, dass diese Vögel in unseren Hauhalten auch Stress erfahren, den wir als Halter nicht wahrnehmen.
Spielen mit Artgenossen und Objekten wie geeignetem Spielzeug, welches man in einem gut strukturierten Zoofachgeschäft findet, kann diesen Stress abbauen, den Sittichen helfen, sich zu entspannen und damit ihre Lebensqualität und ihre Lebensdauer deutlich steigern.
Hildegard Niemann