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Der Hund muss mal raus – Eine nahezu ernste Philosophie des Spaziergangs
Den Hund spazieren zu führen heißt nicht nur, ihn vor die Tür zu bringen und am nächsten Baum seine Geschäfte erledigen zu lassen. Ein Spaziergang sollte immer wieder anders gestaltet werden, neuen Wegen folgen und viele spielerische Rituale enthalten. Dann freut sich das Hund-Mensch-Team an der gemeinsamen Bewegung. Das Spiel mit dem Hund und die gemeinsam verbrachte Zeit bringt Erholung vom stressigen Alltag. Leider wird allzu oft der Hund mit seinen Bedürfnissen nicht ernst genommen, so dass es scheint, als sei das Tier „schwierig“. Immer aber ist der Mensch „schuld“, wenn sein Hund auffällig wird.
Die einfachste Form eines "Gassigangs" ist, den Hund zu schnappen, ihn an die Ausziehleine zu hängen und ins Freie zu gehen. Der Hund hat zwar einen Namen, hört aber selten oder gar nicht. Wenn er kann, läuft er weg. Während der Hund seine Geschäfte erledigt, denkt sein Problem-Mensch an seine. Eine Beziehung kommt nicht zustande. Soll der Hund kommen, wird er an der Ausziehleine herbei geschnurrt, ob er will oder nicht. Diese Hunde kläffen viel, weil sie von ihrem Menschen - auch auf dem Spaziergang - allein gelassen werden und kaum Ansprache kennen. Sie werden oft leinenaggressiv und verbellen alles, was ihnen entgegen kommt: "Mach dich fort da vorne, ich habe ein Weichei an der Leine!"
Die Steigerung ist der dicke Hund, der mangels Ablenkungen, oder gar Beschäftigung nur ans Fressen denkt. Er hat es gelernt, mit Augenspiel und Körpersprache vorzugaukeln, dass er in wenigen Sekunden tot umfällt, wenn kein Leckerchen herüberwächst. Sein gehorsamer Mensch bedient dies aus Hundeliebe sofort - auch während des Spaziergangs!
Der Gipfel der Unnatürlichkeit ist der verwöhnte oder unerzogene Hund, der ganz ohne Gehorsam durchs Leben kommt. Er wird draußen ohne Ritual ("Sitz!" oder Blickkontakt) von der Leine gelassen. Wenn er etwas will, kläfft er die Familie zusammen, die - teils aus Trägheit, teils aus Unkenntnis - dem Hund sofort jeden Wunsch von den Augen abliest. "Wenn mein Hund bellt, muss ich ihm immer den Ball werfen..." Selten wird ein verwöhnter Hund brav allein zu Hause bleiben, sondern das kaputt machen, was besonders intensiv nach dem 'untreuen' Menschen riecht. Er nimmt sich heraus, zu jedem Hund zu rennen und Leute zu belästigen - ein wahrhaft unerfülltes Hundeleben!
Doch wie kann ich als Hundehalter die aufgeführten Fehler vermeiden und mir und meinem Hund eine angenehme Zeit während der gemeinsamen Spaziergänge ermöglichen?
Was haben wir eigentlich da vor uns an der Leine?
Der Hund ist das einzige Tier, das freiwillig mit uns arbeiten und uns seine Sinne zur Verfü-gung stellen will. Wenn ich beispielsweise eine Nussallergie habe, kann mein Hund lernen, den Kopf abzuwenden, um mir einen Erstickungsanfall zu ersparen; und er würde jeden Weinpanscher nach ein wenig Training entlarven können. Als Familienhund kennt er seinen Namen, alle Familienmitglieder und ist in der Lage, Stimmen und Stimmungen auseinander zu halten. Wenn wir uns eine Scala denken, könnte der Hund uns auf Punkt 100 die Natur erklären. Wir Menschen sind vielleicht gerade einmal auf Punkt 20 mit der Möglichkeit, sein Wissen abzufragen und zu nutzen.
Was ist ein Spaziergang für jeden Hund?
Ich glaube nicht, dass ein Hund ohne etwas im Sinn zu haben, vor sich hinlaufen würde - nur um der Bewegung willen. Das ist völlig Körper-unwirtschaftlich! Hunde gehen hinaus, um einen Sozialpartner zu finden, einen Rivalen aus dem Revier zu vertreiben, oder sie gehen auf die Jagd. Hunde leben im Hier und Jetzt und fressen für das Hier und Jetzt. Wie kommt ein Hund an etwas zu Fressen: Wild riechen - nachstellen - reißen - töten - fressen. Hat er eine Beute mühsam erlegt und sich den Bauch vollgeschlagen, wird er solange schlafen, ruhen und verdauen, bis er wieder Hunger hat. Er würde nie "Gassi gehen", um die mühsam erworbene Energie abzulaufen. Deshalb wird mein Hund nicht einfach nur bewegt, sondern ich arbeite mit ihm.
Was bedeutet der Spaziergang für den Menschen?
Der Hund senkt Stress, stärkt das Immunsystem, er wirkt heilend und anregend. Hundebe-sitzer kommunizieren mehr mit anderen. Wenn der Mensch seinen Sorgen und Terminen fest die Autotür vor der Nase zuknallt und mit seinem Hund zwei Stunden am Tag nutzt, um sich mit ihm vertraut zu machen, wird es keinem Hund einfallen, weg zu laufen - wohin auch? Sein Mensch sorgt ab sofort für Glückshormone, nicht die Hatz durch den Wald.
Wie strukturiert man einen erfolgreichen Spaziergang?
Zuerst geht er FUSS (keine Angst, er macht sich nicht ins Fell!) Mit einem SITZ-Ritual darf er von der Leine - nun folgen Spiele ganz nach Lust und Laune: Such- und Findespiele, Balancieren, etwas umrunden. Kläffende, ziehende, auffällige, abhauende Hunde spiegeln immer nur unser Unvermögen wieder, mit diesem Wundertier umgehen zu können. Wenn wir uns aber in der Hundeseele eingenistet haben, wir keine Leine und keine Leckerchen mehr brauchen, sondern selbst zur Belohnung geworden sind, ist das ein unglaublich naturnahes Erlebnis!